Versorgungsbereich, zentraler

Versorgungsbereich, zentraler

»Der Begriff des zentralen Versorgungsbereichs wird im Baugesetzbuch und in der Baunutzungsverordnung an verschiedenen Stellen genannt:

als bei der Bauleitplanung zu berücksichtigender Belang in § 1 Abs. 6 Nr. 4 BauGB,
zur Verstärkung der gemeindenachbarlichen Abstimmungspflicht in § 2 Abs. 2 Satz 2 BauGB,
bei der Festsetzungsmöglichkeit zum Schutz zentraler Versorgungsbereiche in den nicht beplanten Innenbereichen nach § 9 Abs. 2 a BauGB,
bei der Zulässigkeit von Vorhaben nach § 34 Abs. 3 BauGB und
den Auswirkungen i. S. v. § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO« (vgl. Einzelhandelserlass NRW 2008 – alte Fassung vom 05.10.1989; außer Kraft seit 31.12.2011).

Der zentrale Versorgungsbereich ist Schutzgut der Rechtsvorschriften des Bauplanungsrechts, die die Steuerung der Ansiedlung von Einzelhandel zum Gegenstand haben: Von Vorhaben sollen keine wesentlichen bzw. schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche ausgehen (§ 11 Abs.
3 Satz 2 BauNVO, § 34 Abs. 3 BauGB).(1)

Unter einem zentralen Versorgungsbereich ist nach der Rechtsprechung ein räumlich abgrenzbarer Bereich einer Gemeinde, dem auf Grund vorhandener Einzelhandelsnutzungen, häufig ergänzt durch diverse Dienstleistungen und gastronomische Angebote, eine Versorgungsfunktion über den unmittelbaren Nahbereich hinaus zukommt. Er kann sich – so wurde die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zumindest überwiegend verstanden – sowohl aus planerischen Festlegungen als auch aus den tatsächlichen Verhältnissen ergeben (BVerwG v. 11.10.2007, 4 C 7.07). Nach neuerer Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg (Urt. v. 20.12.2011, 8 S 1438/09), bestätigt durch das BVerwG (B. v. 12.07.2012, 4 B 13/12), sollen bei der Anwendung des § 34 Abs. 3 BauGB jedoch weder das Einzelhandelskonzept als informelle Planungsleitlinie noch die landesplanerischen Zielvorgaben, sondern allein die tatsächlichen Verhältnisse für das Vorliegen eines zentralen Versorgungsbereichs maßgeblich sein.

Ein ´Versorgungsbereich´ setzt »mithin vorhandene Nutzungen voraus, die für die Versorgung der Einwohner der Gemeinde – ggf. auch nur eines Teiles des Gemeindegebiets – insbesondere mit Waren aller Art von Bedeutung sind« (OVG NRW v. 11.12.2006, 7 A 964/05; vgl. zu planerischen Festlegungen BT-Drs. 15/2250, S. 54)).

Die planerische Festlegung zentraler Versorgungsbereiche, z.B. in Einzelhandelskonzepten, ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn tatsächlich bestehende zentrale Versorgungsbereiche räumlich angepasst oder zentrale Versorgungsbereiche erstmalig als solche entwickelt werden sollen. Bei derartigen planerischen Überlegungen ist zu berücksichtigen, dass die mit der planerischen Festlegung verfolgte Zielstellung in absehbarer Zeit  realisierbar erscheint. Der verlautbarte Wille allein, einen bestimmten räumlichen Bereich als zentralen Versorgungsbereich zu entwickeln, reicht hierfür nicht aus (vgl. OVG NRW v. 15.02.2012, 10 D 32/11.NE).

Auch eine räumlich konzentrierte Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben, die darauf angelegt ist, einen fußläufigen Einzugsbereich zu versorgen (Grund- und Nahversorgungszentrum), kann einen zentralen Versorgungsbereich bilden; es genügt, wenn der Versorgungsbereich nach Lage, Art und Zweckbestimmung eine für die Versorgung der Bevölkerung in einem bestimmten Einzugsbereich zentrale Funktion hat. Der Begriff ist nicht geographisch im Sinne einer Innenstadtlage oder Ortsmitte, sondern funktional zu verstehen (BVerwG v. 17.12.2009, 4 C 1.08).

»Je nach ihrer konkreten Versorgungsfunktion können sie auf einen engeren oder einen mehr oder weniger weiten Bereich einwirken und dessen Versorgung dienen sowie dabei einen umfassenderen oder nur eingeschränkten Versorgungsbedarf abdecken. Hiervon ausgehend können als ´zentrale Versorgungsbereiche´ angesehen werden:

Innenstadtzentren, die einen größeren Einzugsbereich, in der Regel das gesamte Stadtgebiet und ggf. sogar darüber hinaus ein weiteres Umland, versorgen und in denen regelmäßig ein breites Spektrum von Waren für den lang-, mittel- und kurzfristigen Bedarf angeboten wird,
Nebenzentren, die einen mittleren Einzugsbereich, zumeist bestimmte Bezirke größerer Städte, versorgen und in denen regelmäßig ein zumindest breiteres Spektrum von Waren für den mittelund kurzfristigen, ggf. auch den langfristigen Bedarf angeboten wird, sowie
Grund- und Nahversorgungszentren, die einen kleineren Einzugsbereich, in der Regel nur bestimmte Quartiere größerer Städte bzw. gesamte kleinere Orte, versorgen und in denen regelmäßig vorwiegend Waren für den kurzfristigen Bedarf und ggf. auch für Teilbereiche des mittelfristigen Bedarfs angeboten werden« (OVG NRW v. 11.12.2006, 7 A 964/05).

Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist allerdings Voraussetzung für einen zentralen Versorgungsbereich, dass er sich in einer städtebaulich integrierten Lage befindet. Isolierte Standorte bilden danach keinen zentralen Versorgungsbereich, auch wenn sie über einen weiten Einzugsbereich verfügen und eine beachtliche Versorgungsfunktion erfüllen mögen (BVerwG, Urt. v. 17.12.2009 – 4 C 2.08, ZfBR 2010, 267).

Die Anforderungen an das Angebot können im Einzelfall variieren. »Die Vielfalt an Versorgungseinrichtungen, unter anderem des  Einzelhandelsangebotes (Betriebsformen, Branchen, Sortimentsbreite und -tiefe), hängt von der Funktion eines zentralen Versorgungsbereiches ab. In dem Hauptzentrum einer größeren Gemeinde ist das Angebot vielfältiger als in dem Hauptzentrum einer kleineren Gemeinde. Neben- und Nahversorgungszentren ordnen sich hinsichtlich ihrer Ausstattung mit Versorgungsangeboten dem Hauptzentrum einer Gemeinde unter. Haupt- und Nebenzentren kommt jedoch auch regelmäßig eine Nahversorgungsfunktion zu« (Einzelhandelserlass NRW2008 – alte Fassung vom 05.10.1989; außer Kraft seit 31.12.2011).

Die Einstufung zentraler Versorgungsbereiche wird daher im Einzelfall herzuleiten und zu begründen sein. Gerade bei kleinen  Einzelhandelsagglomerationen – etwa in begrenzt großen Ortsteilen oder Quartieren – stellt sich regelmäßig die Frage, ob jene überhaupt schon als zentrale Versorgungsbereiche gelten können oder nur (einzel-)betriebliche Nahversorgungsangebote darstellen. Die Einstufung eines kleinen Nachbarschaftszentrums als zentraler Versorgungsbereich dürfte nicht an festen Einzugsbereichen festzumachen sein, vielmehr dürfte es auf Struktur und Größe des Siedlungszusammenhangs ankommen (vgl. z.B. OVG NRW, v. 17.12.2009, 4 C 2.08).

Ob zentrale Versorgungsbereiche bestimmte Merkmale aufweisen müssen, z.B. hinsichtlich Verkaufsfläche, Einzelhandelsbetrieben oder sonstigen Nutzungen, wird bisher kontrovers diskutiert und ist rechtlich nicht abschließend geklärt (vgl. beispielhaft Kuschnerus 2007: Der standortgerechte Einzelhandel. Rn. 145; vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.02.2012 AZ 10 D 32/11.NE). (4)

Zentrale Versorgungsbereiche können zur verfahrensmäßigen Absicherung der damit verbundenen Rechtswirkungen auch im Flächennutzungsplan dargestellt werden (Einzelhandelserlass NRW 2008).«

Beispiel:
Darstellung eines Zentralen Versorgungsbereichs (rot umrandeter räumlicher Bereich) anhand der Stadt Lüneburg

 

Quelle

Definitionen zur Einzelhandelsanalyse © gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V., 01. Februar 2014, (1) § 11 Abs. 3 Baunutzungsverordnung, § 34 Abs. 3 Baugesetzbuch, (2) BVerwG v. 11.10.2007, 4 C 7.07, (3) BVerwG v. 17.12.2009, 4 C 1.08., (4) Kuschnerus, U.: Der standortgerechte Einzelhandel. Bonn, 2007, S. 264