Kaufkraft, sortimentsbezogene

Kaufkraft, sortimentsbezogene

Für Einzelhandelsgutachten und Standortanalysen spielt neben der insgesamt vorhandenen Kaufkraft und der Einzelhandelskaufkraft (Kaufkraft, einzelhandelsbezogene) die sortimentsbezogene Kaufkraft eine wichtige Rolle. Mit ihr wird angegeben, welche Geldbeträge voraussichtlich von den Bewohnern einer bestimmten Region für einzelne Sortimentsbereiche des Einzelhandels in einem definierten Zeitraum (z.B. im kommenden Jahr) verausgabt werden.

Abgrenzungsprobleme
Angaben zur sortimentsbezogenen Kaufkraft werden von mehreren Instituten angeboten. Bevorzugt werden Pro-Kopf-Ausgaben angegeben (berechnet mithilfe der Wohnbevölkerung der betreffenden Region). Die Zahlenangaben werden dabei insbesondere nach folgenden Dimensionen differenziert:

a) nach Sortimentsteilen (-bereichen),
b) nach Teilregionen,
c) nach Nachfragergruppen.

Zu a): Auf einer hoch aggregierten Ebene werden die Sortimentsbereiche als »Warenart« bezeichnet. Allerdings ist der Sprachgebrauch nicht  einheitlich; so wird häufig auch von Warengruppen oder Categories gesprochen. Zur weiteren Untergliederung der Sortimente werden ebenfalls unterschiedliche Begriffe verwendet. So werden im Katalog E die Sortimente nach Warenart, Warenbereich, Artikelgruppe, Artikel und schließlich Sorte gestuft.(3) Zum Beispiel handelt es sich bei »Hausrat« um eine Warenart, zu der die Warenbereiche »Haus- und Küchengeräte«, »Glas, Porzellan, Keramik« und »Bestecke und Schneidwaren« gehören. Die Amtliche Statistik gliedert nach der Warensystematik SAE 98 (vgl. die Literaturangabe). Häufig werden von den Instituten nicht alle Warenbereiche berücksichtigt, die nach der Amtlichen Statistik zum Einzelhandel gezählt werden: so werden oft Ausgaben für Kraftfahrzeuge, Brennstoffe sowie Dienstleistungen und Reparaturen ausgeschlossen (nähere Ausführungen zu den Teilbereichen bzw. Branchen des Einzelhandels finden sich in den Erläuterungen zu Einzelhandel). Die jeweils verbleibenden Warenbereiche werden in unterschiedlicher Zahl und Tiefe dargestellt. Beispielhaft sei die Liste der von GfK-Geomarketing verwendeten »Warengruppen« in Abb. A-7 wiedergegeben.(1)

Auch die Abgrenzung und die Benennung der einzelnen Warenbereiche werden von den einzelnen Instituten unterschiedlich gehandhabt: IFH unterteilt zunächst in 22 »Sortimentsbereiche« (2), ecostra differenziert nach der in Anlage 2 wiedergegebenen Warengruppensystematik auf der obersten Ebene in 13 »Warengruppen«. Acxiom spricht auf der ersten Ebene von 10 Ausgabebereichen von produktspezifischer Kaufkraft, auf einer disaggregierten Ebene von konsumgüterspezifischen Daten. Alle Institute bilden weitere Untergruppen. Bei Untersuchungen im Lebensmitteleinzelhandel wird auch nur in Food, Non-Food 1 und Non-Food 2 unterschieden.

Zu b): Angaben zur sortimentsbezogenen Kaufkraft werden von den Instituten im Regelfall nicht nur für Deutschland insgesamt ausgewiesen, sondern auch für einzelne Teilregionen (die jeweilige Anzahl ist hinter der jeweiligen Gebietseinteilung in Klammern angegeben). Die Teilregionen werden dabei wie in Abb. A-8 angegeben gegliedert.(1)

Zu c): Im Regelfall wird die sortimentsbezogene Einzelhandelskaufkraft für den »durchschnittlichen« Bewohner des jeweiligen Gebietes angegeben. Gelegentlich wird dabei weiter differenziert, z.B. nach Haushaltstypen oder Einkommensklassen. Zu der Kaufkraft der privaten Haushalte können Ausgaben für Konsum der privaten Organisationen ohne Erwerbszweck, des Staats und Gebietsfremder hinzu treten.

Zahlen zur sortimentsbezogenen Kaufkraft

Die Angaben einzelner Institute zur sortimentsbezogenen Kaufkraft stimmen nicht in allen Fällen überein (vgl. dazu beispielhaft die Angaben für den Warenbereich »Bekleidung« in Abbildung A-9, welche auf der Basis von Institutsmitteilungen zusammengestellt wurden).

Abb. A-9: Sortimentsspezifische Pro-Kopf-Ausgaben für »Bekleidung« nach den Angaben ausgewählter Institute

Daten zur sortimentsbezogenen Pro-Kopf-Ausgaben werden z.T. auch von Branchenverbänden publiziert. So beläuft sich nach Angaben des Bundesverbandes des Deutschen Textileinzelhandels e.V. (BTE) der Umsatz für Damen-, Herren-, Baby-, Kinder- und Jugendbekleidung im Jahr 2011 in Deutschland auf insgesamt ca. 53,4 Mrd. EUR, was einer Pro-Kopf-Ausgabe von ca. 657,– EUR entspricht.(4) Die Pro-Kopf-Ausgabe für Bekleidung in Deutschland differieren je nach Quelle zwischen einem Wert von 481,– EUR und 620,– EUR bzw. um ca. 139,– EUR oder rund 30 %. Da der Pro-Kopf- Wert im Rahmen eines Einzelhandelsgutachtens erheblichen Einfluss auf die Bewertung der ökonomischen Tragfähigkeit, die raumordnerischen und städtebaulichen Auswirkungen eines Einzelhandelsprojektes auf die branchenbezogene Kaufkraftbindung und die Entwicklungspotenziale einer Stadt als Einzelhandelsstandort hat, ist auf die Verwendung problemgerechter Zahlen großer Wert zu legen. Die Abweichungen in den Pro-Kopf-Werten der einzelnen Institute sind auf unterschiedliche methodische Vorgehensweisen zurück zu führen, was im Folgenden noch näher ausgeführt wird.

Die Methoden zur Berechnung der sortimentsbezogenen Kaufkraft

Für die Ermittlung der voraussichtlichen Ausgaben der Bevölkerung in einzelnen Sortimentsbereichen verwenden die Institute unterschiedliche Methoden. Die Abweichungen in den von ihnen ermittelten Werten können mehrere Ursachen haben, so

unterschiedlich abgegrenzte Warenbereiche (z.B. nur Bekleidung oder Bekleidung + Schuhe; mit oder ohne Sportbekleidung usw.),

die ausschließliche Berücksichtigung des stationären Einzelhandels oder zusätzlich auch die Berücksichtigung des ambulanten und des Versandhandels (einschl. des Internet-Handels),

unterschiedliche Berechnungsmethoden,

unterschiedliche Ausgangsdaten,

unterschiedliche Definitionen von Kaufkraft,

unterschiedlich abgegrenzte Räume (z.B. Deutschland, Bundesländer, Gemeinden usw.).

Unterschiede in der Berechnungsmethode erschließen sich, wenn man berücksichtigt, dass die Kaufkraft in einem Gebiet ermittelt wird, indem nach dem Standardverfahren

die durchschnittlichen Verbrauchsausgaben in dem jeweiligen Warenbereich je Kopf und Jahr

mit der Einwohnerzahl des Gebietes (Bevölkerung) und

einem Kaufkraft-Index.

multipliziert werden. Ausgangspunkt sind die durchschnittlichen Ausgaben der Bevölkerung in dem jeweiligen Warenbereich. Da es sich um Durchschnittswerte für eine bestimmte Region handelt (z.B. ein Land), können die tatsächlichen Ausgaben in einer bestimmten Teilregion höher oder niedriger sein. In dem Basisverfahren wird davon ausgegangen, dass die Ausgaben sich proportional zum Netto-Einkommen ändern, das über einen Kaufkraftindex ausgewiesen wird. Ein höheres Einkommen in einer Region führt nach dieser Sicht auch zu höheren Ausgaben in dem jeweiligen Warenbereich. Dabei ist zu beachten, dass die Höhe des Kaufkraftindexes auch davon abhängt, wie »Kaufkraft« abgegrenzt wird (z.B. nur auf dem Haushaltsnettoeinkommen basierend, mit oder ohne Kreditaufnahme, mit oder ohne Abzug von Geldbeträgen, mit denen Geldvermögen gebildet wird -Sparen -). Der auf dem Einkommen basierende Kaufkraftindex spielt in diesem Modell also eine zentrale Rolle, denn es wird angenommen, dass Abweichungen von den durchschnittlichen Verbrauchsausgaben vor allem durch das Einkommen ausgelöst werden.

In einem erweiterten Modell wird zusätzlich ein Anpassungsfaktor (»Engel-Faktor«, Einkommenselastizität) berücksichtigt, der die Wirkungen unterschiedlicher Einkommenshöhen auf das Kaufverhalten in differenzierterer Form erfasst, denn die Ausgaben müssen sich nicht unbedingt proportional mit der Kaufkraft verändern. So kann es z.B. sein, dass in einer Personengruppe das Einkommen 30% höher ist als in einer anderen Personengruppe (oder dem Durchschnitt), die Ausgaben in einem bestimmten Warenbereich jedoch 60% höher sind als in der anderen Personengruppe (oder dem Durchschnitt). Hätte man die voraussichtlichen Ausgaben für ein bestimmtes Gebiet zu schätzen, in dem die Nachfrager zu einem hohen Anteil über ein relativ hohes Einkommen verfügen, würde man zum einen berücksichtigen, dass einerseits Mehrausgaben aufgrund des höheren Einkommens anfallen, dass aber andererseits auch Mehrausgaben durch den in dieser Gruppe intensiveren Konsum ausgelöst werden, was über den sog. Engel-Faktor berücksichtigt wird. Die Ermittlung der Einkommenselastizität bzw. der Korrekturfaktoren für die Kaufkraftkoeffizienten erfordern eigene empirische Untersuchungen (z.B. mit Daten aus den Einkommens- und Verbrauchsstichproben des Statistischen Bundesamtes). Zum gleichen Ergebnis kommt man aber auch, indem man die Ausgaben für einzelne Einkommensklassen differenziert und nicht mit einem Durchschnittswert über alle Einkommensklassen rechnet.

Neben dem Einkommen können weitere Faktoren auf das Ausgabeverhalten einwirken, z.B. Alter, Lebensstil, permanentes Einkommen oder Haushaltsgröße. Solche Faktoren werden in dem Basismodell nicht berücksichtigt. Mit Modellerweiterungen wird versucht, neben der Kaufkraft und der Bevölkerung auch solche Bestimmungsfaktoren zu berücksichtigen.

Unterschiedliche Berechnungsergebnisse können auch daraus resultieren, dass in einem Fall Angaben zur Wohnbevölkerung verwendet werden, in einem anderen Fall nur Inländer berücksichtigt werden.

Schließlich stellt die Ermittlung von durchschnittlichen Verbrauchsausgaben in einem Warenbereich ein Problem dar, weil viele Waren in unterschiedlichen Vertriebswegen gekauft werden können (z.B. im stationären Einzelhandel mit seinen vielfältigen Betriebsformen, im klassischen Versandhandel, im Internethandel, im Ausland, direkt beim Hersteller) und dies den Statistiken nicht immer entnommen werden kann. Die Institute versuchen auf unterschiedlichen Wegen, valide und reliable Angaben zu den Pro-Kopf-Ausgaben in einzelnen Sortimentsbereichen bereit zu stellen. So wird die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Statistischen Bundesamtes genutzt, um Hinweise über tatsächliches Ausgabeverhalten zu erhalten. Haushaltspanels sind in ähnlicher Weise Angaben zum Kaufverhalten zu entnehmen. Umsatzsteuerstatistiken und Firmenberichte geben Hinweise auf die in einzelnen Bereichen erzielten Umsätze der Unternehmungen. Mit Produktions- und Außenhandelsstatistiken lässt sich über den Saldo von Produktion + Import – Export feststellen, wie sich die im Inland verfügbare Warenmenge verändert hat.

Quelle

Definitionen zur Einzelhandelsanalyse © gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V., 01. Februar 2014, (1) GfK (Hrsg.): Einzelhandelskaufkraft 2012 Deutschland, Informationsblatt, 6 Seiten, Bruchsal 2012, hier S. 3., (3) Katalog E, 5. Ausg., 2006, S. 140.