Vermutungsregel

Vermutungsregel

§ 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO 1990 regelt die Unzulässigkeit von Einkaufszentren und großflächigen Einzelhandelsbetrieben (Großflächigkeit), von denen nicht nur unerhebliche Auswirkungen auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung und Landesplanung oder auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung ausgehen können, außerhalb von Kern- und Sondergebieten. Nach § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO 1990 sind solche  Auswirkungen i. d. R. anzunehmen, wenn die Geschossfläche des großflächigen Einzelhandelsbetriebs 1.200 m² überschreitet.

Das Kriterium der Großflächigkeit ist danach von dem Tatbestandsmerkmal der Auswirkungen zu trennen. Die Baunutzungsverordnung unterwirft Einzelhandelsnutzungen nur dann dem Regelungssystem des § 11 Abs. 3 BauNVO, wenn sie großflächig sind, d.h. 800 m² Verkaufsfläche (als Äquivalent zu einer Geschossfläche von 1200 m²) überschreiten. Beide Kriterien – also das Merkmal der Großflächigkeit und die Auswirkungen i. S. v. § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO – müssen erfüllt sein, damit ein Einzelhandelsvorhaben nur in einem Kern- oder Sondergebiet zulässig ist.

Nach § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO gilt die – widerlegliche – Vermutung des Satzes 3 nicht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Auswirkungen bereits bei weniger als 1.200 m² Geschossfläche vorliegen oder bei mehr als 1.200 m² Geschossfläche nicht vorliegen. § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO
konkretisiert die Anhaltspunkte – d. h. städtebauliche und betriebliche Besonderheiten – für eine von der Regel des § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO abweichende Beurteilung:

»Gliederung und Größe der Gemeinde und ihrer Ortsteile«: Dabei wird berücksichtigt, dass sich ein Einzelhandelsbetrieb mit 1.200 m² Geschossfläche in einer kleinen Gemeinde stärker auswirkt als ein Betrieb mit gleicher Größe in einer Großstadt.
»Sicherung der verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung«: Hier ist insbesondere die Versorgung der Bevölkerung mit Waren des täglichen Bedarfs zu berücksichtigen.
»Warenangebot des Betriebs«: Hier ist wegen der unterschiedlichen Zentrenrelevanz einzelner Sortimente die Sortimentsstruktur von Bedeutung, z .B. ob es sich um Waren mit einem typischerweise großen Flächenbedarf und geringer Zentrenrelevanz handelt.

Auf der 1. Stufe ist danach zu prüfen, ob ein atypischer Fall vorliegt, welcher aus betrieblichen oder städtebaulichen Besonderheiten des konkreten Sachverhaltes resultieren kann (vgl. BVerwG vom 03.02.1984, 4 C 54.80).

a) Betriebliche Besonderheiten können z.B. vorliegen:

bei Betrieben, die typischerweise eine besonders große Fläche in Anspruch nehmen (z.B. Baustoffhandel),
wenn der Betrieb auf ein schmales Warensortiment beschränkt ist,
bei Artikeln, die üblicherweise in Verbindung mit handwerklichen Dienstleistungen angeboten werden (z.B. Kfz-Handel mit Werkstatt).

b) Städtebauliche Besonderheiten können beispielsweise vorliegen,

wenn der Einzugsbereich des Betriebs bisher unterversorgt war und innerhalb des Einzugsbereichs des Betriebs keine zentralen Versorgungsbereiche vorhanden sind,
wenn der Betrieb in zentraler und für die Wohnbevölkerung gut erreichbarer Lage (städtebaulich integriert) errichtet werden soll und das Vorhaben aufgrund eines außergewöhnlich hohen Nachfragepotenzials im Nahbereich überwiegend von der lokalen Nachfrage getragen wird.

Auf der 2. Stufe können die Auswirkungen nach § 11 Abs. 3 S. 2 BauNVO für den Einzelfall durch Gutachten widerlegt werden.

Quelle

Definitionen zur Einzelhandelsanalyse © gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V., 01. Februar 2014, Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes NRW: Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben; Bauleitplanung und Genehmigung von Vorhaben (Einzelhandelserlass NRW), Düsseldorf 2008, S. 17ff. (alte Fassung vom 05.10.1989; außer Kraft seit 31.12.2011)